Aus- und Fortbildung zur Naturkosmetikerin
Frau Jochum, Sie sind seit vielen Jahren Ausbilderin und Schulleiterin im Naturkosmetikbereich, sind also eine absolute Branchen-Kennerin. Welches ist Ihr naturkosmetischer Lieblingsbehandlung?
Das ist nach wie vor die ganzheitliche, naturkosmetische Gesichtsbehandlung mit den individuell abgestimmten Variationsmöglichkeiten und der dreißigminütigen Massage. Die Reaktion unserer Schüler und der Modelle nach dieser fast zweistündigen Behandlung berührt mich immer wieder.
Außerdem liebe ich es präzise, ganzheitliche Hautdiagnostik und Typenlehre zu unterrichten und bin ein großer Fan von ayurvedischen Schönheitsbehandlungen, welche sich sehr gut mit der Naturkosmetik kombinieren lassen.
Immer mehr Menschenlegen hierzulande legen Wert auf „natürliche“ und nachhaltige Kosmetik. Wie kann die Kosmetikerin von diesem Trend profitieren?
Durch die Spezialisierung auf Naturkosmetik und gezielte Marketingstrategien kann die Kosmetikerin die wachsende Zielgruppe von Menschen, die auf der Suche nach umweltfreundlichen, hautverträglichen und tierversuchsfreien Produkten sind, auf sich aufmerksam machen und an sich binden. Mit natürlichen, ganzheitlichen Schönheitsbehandlungen hebt sie sich von anderen Kosmetikerinnen ab und verschafft sich so einen Wettbewerbsvorteil. Dies gilt auch für den Verkauf von naturkosmetischen Gesichts- und Körperpflegeprodukten, Haarpflegeprodukten oder Make-up. Hier suchen die Verbraucher oft verzweifelt nach fachkundiger Beratung. Die Regale im Handel sind mittlerweile gut mit Naturkosmetik bestückt, aber es fehlt an fachkundiger Beratung. Mit einer Aus- oder Fortbildung zur zertifizierten Naturkosmetikerin kann sich die Kosmetikerin als Expertin auf diesem Gebiet positionieren, ihre Kunden über die Vorteile und den Nutzen von Naturkosmetik aufklären und ihnen bei der Auswahl der für sie passenden Produkte und Behandlungen helfen. Um sich in der Welt der Naturkosmetik auf dem neuesten Stand zu halten, kann die Kosmetikerin zudem Schulungen und Weiterbildungen besuchen, die speziell auf Naturkosmetik und natürliche Inhaltsstoffe ausgerichtet sind. Diese werden unter anderem auch von den Naturkosmetikfirmen angeboten. Workshops oder Vorträge rund um das Thema Naturkosmetik sind auch bei den Kunden sehr beliebt und können als besonderes Event im Studio angeboten werden. Themenabende im Studio tragen zudem dazu bei den Bekanntheitsgrad zu erhöhen und potentielle Kunden auf sich aufmerksam zu machen. Durch die Positionierung als umweltbewusste Naturkosmetik-Expertin kann die Kosmetikerin so die steigende Nachfrage nach naturkosmetischen Produkten und ganzheitlichen Dienstleistungen nutzen und gleichzeitig einen Beitrag zu einer nachhaltigeren Zukunft leisten.
Noch immer ist Naturkosmetik kein geschützter Begriff, Greenwashing ist nach wie vor populär. Was ist für Sie Naturkosmetik?
Greenwashing ist problematisch, weil es Verwirrung bei den Verbrauchern stiftet und das Vertrauen in natürliche, umweltfreundliche Initiativen untergräbt. Um Greenwashing zu erkennen, ist es wichtig, dass man kritisch hinterfragt, was Unternehmen behaupten, und nach glaubwürdigen Zertifizierungen oder unabhängigen Bewertungen sucht, die bestimmte Standards vorgeben. In unseren Ausbildungen kommt ausschließlich kontrollierte Naturkosmetik zum Einsatz, die sich durch bestimmte Standards und Zertifizierungen auszeichnet. Eine Ausnahme sind kleine Labels, die diese Standards nachweislich erfüllen, sich aber auf Grund der Kosten noch keine Zertifizierung leisten können. Es gibt verschiedene Zertifizierungsorganisationen, die kontrollierte Naturkosmetik prüfen und entsprechende Siegel vergeben, um die Einhaltung der festgelegten Standards zu bescheinigen. Dazu gehören Richtlinien für die Verwendung natürlicher und biologischer Inhaltsstoffe, den Ausschluss von bestimmten synthetischen Stoffen sowie eine nachhaltige Herstellung. Bekannte Beispiele für solche Siegel sind Natrue, BDIH, Cosmos, Ecocert und Demeter. Das Vorhandensein eines solchen Zertifizierungssiegels auf der Verpackung eines Produkts gibt Verbrauchern eine gute Orientierung. Es ist jedoch zu beachten, dass die genauen Anforderungen für kontrollierte Naturkosmetik je nach Zertifizierungsstelle variieren können. Daher ist es ratsam, die spezifischen Kriterien jeder Organisation zu recherchieren, um sicherzustellen, dass die Produkte den gewünschten Naturkosmetikstandards entsprechen. Diese variieren je nach Siegel z. B. im vorgegebenen Prozentsatz der Inhaltsstoffe aus kontrolliert biologischem Anbau. Die Richtlinien für eine Demeter-Zertifizierung gelten weltweit als die konsequentesten Vorschriften für hochwertige Bio-Produkte, da sie den biologisch-dynamischen Anbau von Rohstoffen und hohe Anforderungen an Verpackung sowie an Kennzeichnung definieren.
Sind die Verbraucher inzwischen besser über „echte“, also zertifizierte Naturkosmetik informiert?
In den letzten Jahren ist in der Tat ein wachsendes Interesse an natürlichen und zertifizierten Naturkosmetikprodukten zu beobachten. Immer mehr Verbraucher sind bewusster geworden und interessieren sich für Inhaltsstoffe, die in ihren Kosmetikprodukten enthalten sind, sowie für die ethischen und ökologischen Auswirkungen der Herstellung und Verwendung solcher Produkte. Einige Apps (z. B. Codecheck) unterstützen und erleichtern mittlerweile die Auswahl und den Einkauf von natürlichen Kosmetikprodukten.
Sie bieten Ausbildungen ebenso wie Weiterbildungen zur Naturkosmetikerin an – wie unterscheiden sich die beiden?
Unsere Naturkosmetikausbildung bietet eine umfassende und praxisorientierte Grundausbildung, die von erfahrenen Fachleuten geleitet wird. Die Teilnehmerinnen lernen die neuesten Techniken und Trends kennen, um eine breite Palette von naturkosmetischen Behandlungen durchzuführen. Dabei decken wir alle wichtigen Bereiche der naturkosmetischen Regenerations- und Schönheitsbehandlungen ab. Was unsere Ausbildung besonders macht, ist die individuelle Betreuung und das praktische Training in kleinen Gruppen. Die Ausbildung findet im Hybrid-Unterricht statt. Die Theorie wird auf Basis von einem umfangreichen Studienbuch ganz bequem von zu Hause aus in einem virtuellen Klassenraum von der entsprechenden Fachlehrkraft vermittelt. Der praktische Teil der Ausbildung findet als Präsenzunterricht in unserem Ausbildungszentrum in Gießen statt. Beim Üben zu Hause unterstützen wir die Teilnehmerinnen mit praxisorientierten Lern-Videos, die man unbegrenzt oft anschauen kann. Zusätzlich unterstützen wir unsere Schülerinnen über die gesamte Ausbildungszeit mit regelmäßig stattfindenden Sprechstunden in denen theoretisches Wissen vertieft und Fragen beantwortet werden. Die Ausbildung dauert 7 Monate. Schwerpunkt der Weiterbildung zur Naturkosmetikerin ist neben einer differenzierten Wirkstoffkunde, nach den Kriterien für kontrollierte Naturkosmetik, die ganzheitliche Betrachtung und Behandlung der Haut. Auch diese Fortbildung findet in kleinen Gruppen im Hybrid-Unterricht statt: Der theoretische Teil wird online im virtuellen Klassenzimmer unterrichtet. Der praktische Teil der Ausbildung findet als Präsenzunterricht in unserem Ausbildungszentrum in Gießen statt. Die Fortbildung umfasst 5 Unterrichtstage, d. h. 2 Unterrichtstage Theorie bequem von zuhause und 3 Tage Praxis vor Ort.
Welche Seminare/Spezialisierungen sind aktuell besonders gefragt?
Neben der Fortbildung zur Naturkosmetikerin sind die Seminare “Edelsteinmassage”, “Ohrkerzenbehandlung” und “Ayurveda Schönheitspflege” (Ayurvedische Kopf und Gesichtsmassage, Seidenhandschuhmassage, Ayurvedische Fußmassage) im Moment sehr gefragt.
Wie ist generell der Status Quo in Sachen Naturkosmetikausbildung in Deutschland?
Vielen naturkosmetisch interessierten Frauen ist nicht bekannt, dass man auch ohne den Umweg über eine konventionelle Kosmetikausbildung eine Grundausbildung zur Naturkosmetikerin absolvieren kann. Das hören wir immer wieder. Generell ist aber das Interesse an den Grundausbildungen in den letzten 20 Jahren kontinuierlich angestiegen. Die Anzahl der konventionellen Kosmetikerinnen, die mit Naturkosmetik arbeiten möchten und nach einer Fortbildung fragen, die das notwendige Fachwissen zum Thema Naturkosmetik und ganzheitlichen Behandlungen vermittelteln, nimmt in den letzten Jahren auch zu. Allerdings ist durch die Corona-Zeit und der anschließenden Krise durch das Kriegsgeschehen mit den finanziellen Folgen daraus, die Nachfrage nach Aus- und Fortbildungen auch bei uns zunächst eingebrochen. Mittlerweile hat sich die Situation erholt und wir freuen uns, dass die Menschen wieder nach vorne schauen, Pläne machen und sich berufliche Träume erfüllen. Von ehemaligen Schülern weiß ich, dass sich auch die Situation in den Naturkosmetikstudios wieder entspannt hat. Viele berichten, dass sie mittlerweile mehr zu tun haben als vor Beginn der Krise. Ich denke, die Menschen brauchen mehr als je zuvor schöne Erlebnisse. Einfühlsame, ganzheitliche Schönheits-Behandlungen mit der Gewissheit, dass man sich auch bei den eingesetzten naturkosmetischen Produkten auf kontrollierte Qualität verlassen kann, sind da besonders geeignet und entsprechend gefragt.
Gibt es dabei Unterschiede zu anderen europäischen Ländern?
Die Nachfrage nach Naturkosmetik-Ausbildungen variiert in anderen europäischen Ländern je nach dem Entwicklungsstand der Naturkosmetik-Branche, dem Bewusstsein der Verbraucher für natürliche Produkte und den vorhandenen Bildungseinrichtungen. Diese sind auch in anderen europäischen Ländern rar. Wir haben aus diesem Grund häufig auch Schülerinnen aus den angrenzenden europäischen Nachbarländern in unseren Ausbildungen. Die Nachfrage nach natürlichen und umweltfreundlichen Kosmetikprodukten ist aber auch in anderen europäischen Ländern gestiegen. In vielen europäische Ländern wird mittlerweile Nachhaltigkeit und die umweltfreundliche Herstellung von Kosmetikprodukten gefördert. Die Europäische Union arbeitet daran, einheitliche Standards für Naturkosmetik festzulegen, um den Handel mit solchen Produkten innerhalb der EU zu erleichtern. Die Branche wächst und es werden in ganz Europa gut ausgebildete Fachkräfte benötigt.
Was ist Ihrer Erfahrung nach erfolgsversprechender: Sich ausschließlich auf Naturkosmetik zu spezialisieren oder Naturkosmetik als einen Teilbereich anzubieten?
Als überzeugte Naturkosmetik-Expertin rate ich zu einer Spezialisierung. Damit ist man auf jedem Fall glaubwürdiger. Es wäre für mich auch schwer, mit dem Wissen über die zugelassenen Inhaltsstoffe in der konventionellen Kosmetik, Kunden dennoch Produkte anzubieten, von denen ich weiß, dass sie bedenkliche Inhaltsstoffe enthalten. Im Laufe der Jahre hatte ich aber immer mal wieder Schülerinnen, die diesen Spagat in ihrem Institut gut hinbekommen und so beide Lager bedienen. In vielen Hotels gibt es mittlerweile neben den konventionellen Bereich auch eine naturkosmetische Abteilung. Da funktioniert das auch gut. Ich denke das kommt, gerade wenn man vorher konventionell gearbeitet hat, auf den Kundenstamm an. Wenn man da nicht alle für die Naturkosmetik gewinnen kann, ist es sicher möglich, dieses Kundenpotential auch weiterhin wie gewohnt zu bedienen. Oft erledigt sich dieser Zwiespalt aber von allein, da der Zulauf neuer, naturkosmetisch orientierter Kunden so groß ist, das die Kosmetikerinnen dann doch ganz auf Naturkosmetik umsteigen.
Wie schätzen Sie die Entwicklung der Branche in den kommenden Jahren ein?
Der Markt für Natur- und Biokosmetik wächst und ein Ende ist nicht in Sicht. Nachhaltigkeit, Vermeidung von Verpackungsmüll und Bio-Kosmetik werden die Kosmetikbranche in den kommenden Jahren prägen. Laut Marktanalysen (Statista) beträgt der Umsatz im Markt Naturkosmetik 2023 etwa 0,34 Milliarden Euro. Laut Prognose wird im Jahr 2028 ein Marktvolumen von 0,45 Milliarden Euro erreicht. Dies entspricht einem jährlichen Umsatzwachstum von 5,99 Prozent. Davon träumen viele andere Branchen. Fortschritte in der Technologie werden die Entwicklung und Herstellung von Naturkosmetikprodukten zudem weiter vorantreiben. Dazu gehören innovative Methoden zur Gewinnung und Verarbeitung natürlicher Inhaltsstoffe sowie neue Möglichkeiten zur Formulierung und Konservierung.
Über unsere Interviewpartnerin: Liane Jochum ist Leiterin der Academia Balance Deutschland in Gießen sowie Inhaberin der Academia Balance Swiss. Die Buchautorin, Fachjournalistin und Referentin ist ausgebildete Naturkosmetikerin, Wellness- und Ayurvedatherapeutin.
Das Interview erscheint am 1. September 2023 in gekürzter Form unter dem Titel “Die beste Basis um durchzustarten” im Sonderheft Naturkosmetik.
Karin Maier