Historischen Düften auf der Spur
Psychologen, Historiker, Mediziner und Künstler erforschen verstärkt den Geruchssinn. Es gibt Duft-Gärten, Duft-Seminare und in den USA sogar Geruchsschallplatten, die beim Abspielen in Mikrokapseln eingeschlossene Gerüche freisetzen.
Der Duft Kleopatras
Neuerdings lassen Museen die Geruchswelt vergangener Zeiten wieder auferstehen, etwa im englischen York, wo Besucher an typischen Düften der Wikingerdörfer des zehnten Jahrhunderts schnüffeln dürfen – nicht immer angenehm, die Aromen historischer Latrinen oder das Müffeln eines Seemanns nach wochenlanger Bootsreise. Viel besser riecht die Welt des alten Ägyptens, so die Ägyptologin Dora Goldsmith. Nach historischen Texten rekonstruiert sie typische Düfte aus der Zeit von 3400 vor bis 500 nach Christus – etwa das Parfum Kleopatras namens „Mendesian“. Meist dienten Düfte im antiken Ägypten (u.a. Kalmus, Mastix, Kiefernharz, Kampfer, Gummi arabicum, Wacholderbeeren, Galbanum, Zypresse, Weihrauch, Myrrhe) für religiöse Zeremonien, zur Einbalsamierung und zum Ausräuchern.
Geruchs-Enzyklopädie
Vielleicht hat ausgerechnet Corona in der breiten Öffentlichkeit ein neues Bewusstsein fürs Riechen geweckt, weil Erkrankte vorübergehend ihren Geruchs- und Geschmackssinn verloren und sich dadurch wieder dessen Bedeutung in ihrem Leben bewusst wurden. Dies lässt sich an einem europäischen Projekt namens Odeuropa ablesen, dessen Ziel das Studium des olfaktorischen Kulturerbes und die Schaffung einer Geruchs-Enzyklopädie ist. „Düfte, ob angenehm oder nicht, gehören ganz zentral zu unserer Kultur“, erklärt die Projektleiterin und Kunsthistorikerin Inger Leemans. Zur olfaktorischen Kultur zählt Odeuropa Gerüche von alten Büchern, vom historischen London der Kohleöfen, von verräucherten Bars oder Pferdemist. Edle Düfte, aber auch Alltagsgerüche im Europa des 16. bis 20. Jahrhunderts sollen aufgenommen werden in die olfaktorische Enzyklopädie. In enger Zusammenarbeit erforschen rund 40 Historiker, Kunsthistoriker, Chemiker und Informatiker einst verbreitete Gerüche und rekonstruieren sie mithilfe von historischen Texten und Bildern. „Wir nehmen eine Probe der flüchtigen organischen Verbindungen, die in der Luft um ein historisches Objekt herum zu finden sind“, erklären die Wissenschaftler. „Diese Probe wird im Labor analysiert, um Informationen über die chemische Zusammensetzung zu erhalten.“
Olfaktorische Events
Odeuropa möchte auch die Öffentlichkeit an seinen Erkenntnissen teilhaben lassen. So fand 2022 im Ulmer Museum eine öffentliche Geruchsveranstaltung statt, „Follow your Nose“. Dabei wurden historische Düfte mit acht Kunstwerken des Museums verbunden, um Besucher zu einer multisensorischen Erfahrung mit der Kunst zu verführen. Bei anderen Projekten von Odeuropa ging es darum, den Duft der Amsterdamer Börse im 17. Jahrhundert zu rekonstruieren oder die unterschiedlichen Geruchswelten von Ost- und Westdeutschland zu analysieren. Wie können wir in Zukunft die Welt und Geschichte nicht nur mit Augen, Ohren und Tastsinn sinnlich erfahren, sondern auch mit der Nase? Hilfreich könnte die Geruchsorgel „Smeller“ des österreichischen Künstlers Wolfgang Georgsdorf sein, die auf Knopfdruck Gerüche erzeugen kann. Damit will der Künstler auch Filmen eine olfaktorische Dimension geben. Der erste existiert bereits („Continuity“ von Omer Fast), Folgeprojekte sind in Arbeit.
Beate Kuhn-Delestre