Unreinheiten können das zwanghafte bearbeiten der Haut aislösenkönnen

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Dermatologie & Ästhetik // 28.08.2024

Skin Picking – wenn Haut und Psyche leiden

Skin Picking, auch Dermatillomanie genannt, ist eine Erkrankung, die sowohl die Haut als auch die Psyche betrifft. Die Betroffenen drücken, kratzen und knibbeln zwanghaft Hautstellen mit Unreinheiten oder Verhornungen. Welche Ursachen Skin Picking hat und wie sich der Teufelskreis durchbrechen lässt, erfahren Sie im exklusiven Interview mit Kosmetik-Expertin Sarah White.

Was ist Skin Picking?

Sarah White: Skin Picking wird auch als Exkoriationsstörung (Hautzupfen) bezeichnet oder als Dermatillomanie. Das ist ein sehr starker Drang oder Zwang, die Haut zu manipulieren, also aufzukratzen, zu knibbeln und zu quetschen. Das kann Unreinheiten betreffen, trockene Hautstellen, Verhornungen – einfach alles.

Was ist über die Ursachen dieser Störung bekannt?

Beim Skin Picking handelt es sich tatsächlich um eine Erkrankung. Es gibt leichtere und schwere Formen – auch die Ursachen können entsprechend sehr vielfältig sein. Bei vielen Betroffenen sind tatsächlich Nervosität und Stress Auslöser: das Kratzen oder Quetschen auf der Haut verschafft ihnen eine Art Erleichterung und ein befriedigendes Gefühl. Manchmal ist die Ursache tatsächlich ein Hautbild, z. B. unreine Haut. Unebenheiten und vorhandene Pusteln triggern, und das Bedürfnis entsteht, die Haut aufzukratzen und diese Pickel manuell zu entfernen. Skin Picking ist also eine Art Mischform aus einer psychologischen und einer dermatologischen Erkrankung, befindet sich also genau zwischen diesen beiden Feldern. Das zeigt, wie eng die Dermatologie und die seelische Gesundheit zusammenhängen.

Wie kann die Kosmetikerin Skin Picking erkennen?

Die Kosmetikerin darf natürlich keine Diagnose stellen, aber es gibt Hinweise im Hautbild, die vermuten lassen, ob Skin Picking vorliegt oder nicht.

  • Wenn z. B. viele stark verhornte oder aufgekratzte Stellen auf der Haut sind, die manipuliert aussehen, ist das ein Hinweis. Die Kosmetikerin sieht, dass es nicht nur eine Entzündung, sondern eine sehr stark aufgekratzte Entzündung mit einer tieferen Wunde ist, als das üblicherweise bei einer Unreinheiten der Fall wäre.
  • Ein weiteres Indiz ist, wenn vor allem viele Stellen betroffen sind, an die man von außen gut heranrankommt – also Gesicht, Hals, Dekolleté, Arme – aber der Rücken, auf dem evtl. auch Unreinheiten sind, völlig ausgespart ist. Denn diese Partie ist mit den Händen nicht zu erreichen.

Wie häufig ist Skin Picking und wen betrifft es besonders?

Man geht davon aus, dass etwa 5 Prozent aller Männer und Frauen davon betroffen sind. Die Dunkelziffer ist jedoch bestimmt höher. Bei Frauen kommt die Erkrankung häufiger vor als bei Männern. Vielleicht, weil Frauen sich ein Stück weit mehr mit ihrer Haut auseinandersetzen als Männer. Skin Picking findet fast immer im Gesicht statt, also in 90 Prozent der Fälle.

Wie kann die Kosmetikerin reagieren, wenn Skin Picking vorliegt?

Als Ansprechpartnerin in Sachen Haut sollte sie die Kundin bzw. den Kunden vorsichtig ansprechen, mit sehr viel Fingerspitzengefühl. Also z. B. andeuten, dass sie einige entzündete Stellen im Gesicht sieht und fragen: „Hast du vielleicht versucht, Unreinheiten selbst zu entfernen? Oder hast Du manchmal das Gefühl, wenn du mit deinen Fingern über die Haut fährst und raue Stellen hast, diese entfernen zu wollen?” Also sich mit sehr viel Feingefühl und Empathie an das Thema herantasten. Wichtig ist, darüber zu sprechen und die Person ernst zu nehmen.

Warum ist es so wichtig, das Thema anzusprechen?

Es kann tatsächlich sein, dass die betroffene Person gar nicht weiß, dass es die Erkrankung Skin Picking gibt, die ja gar nicht so selten ist. Erst, wenn man sich dessen bewusst wird, kann man auch etwas dagegen unternehmen. Wer z. B. unbewusst seine Haut immer wieder aufkratzt oder an ihr knibbelt und dadurch Bakterien verteilt etc., kann seine Situation gar nicht verändern. Deshalb ist die Aufklärung über Skin Picking so wichtig. Dazu kann/sollte auch gehören, über die psychische Komponente und die Möglichkeit einer Therapie zu sprechen. Skin Picking hat außerdem viele Folgen für Haut, wie Wundinfektionen, Narbenbildung oder Pigmentstörungen und sollte daher ernst genommen werden.

Wie kann die Kosmetikerin Betroffene unterstützen?

Wichtig ist sich bewusst zu machen, dass die Haut ein Trigger, also Auslöser, für Skin Picking sein kann. Wer Unreinheiten, Verhornungen oder gar Entzündungen spürt oder im Vergrößerungsspiegel sieht, fängt leichter an, seine Haut mit den Fingern zu „bearbeiten“. Deshalb lässt sich mit einer Pflege, die den Hautzustand verbessert, auch das Skin Picking lindern. Zumindest, was die Haut als Trigger angeht. Die psychische Komponente der Erkrankung beeinflusst das natürlich nicht. Das Ziel der Kosmetikerin sollte also sein, die Haut in einen guten Zustand zu bringen. Ist die Haut gut gepflegt, verbessert sie das Wohlgefühl und wird weniger zu einem Auslösefaktor für Skin Picking.

Skin Patches auf der Stirn

Skin Patches erinnern daran, die Haut in Ruhe zu lassen

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Wie lässt sich Skin Picking positiv beeinflussen?

Aufgeklebte hydrokolloid Patches erinnern die Betroffen daran, die Haut nicht zu manipulieren. Sie können den Automatismus, das unbewusste Aufkratzen der Haut unterbinden. Zusätzlich verhindert das hydrokolloid Patch, dass Bakterien verteilt werden und es hat wundheilungsunterstützende Eigenschaften .

Zudem kann es hilfreich sein, wenn die Betroffenen für sich etwas finden, das ihre Hände in Stresssituationen anderweitig beschäftigt und sie abschalten lässt – z. B. etwas Handwerkliches wie stricken. Das kann funktionieren, wenn Stress ein Hauptauslöser fürs Skin Picking ist.

Auch die Haut jeden Abend im (Vergrößerungs-)Spiegel zu betrachten kann ein extremer Trigger sein. Das ist absolut kontraproduktiv. Dann lautet der Tipp: Vergrößerungsspiegel & Co. entfernen und so die auslösende Situation vermeiden. Ganz entscheidend ist, dass jeder seine persönlichen Trigger identifiziert, die das zwanghafte Verhalten auslösen können, und diese dann zu meiden. Hierbei kann es helfen, ein Tagebuch zu führen und Aspekte zu notieren wie: „Aus welchen Gründen habe ich das gemacht? Wie habe ich mich dabei gefühlt? Zu welcher Uhrzeit ist das aufgetreten?” Nach einer gewissen Zeit können daraus Rückschlüsse gezogen und persönliche Trigger erkannt werden.

Wie hoch ist der Leidensdruck?

Ist die Erkrankung stark ausgeprägt, besteht ein sehr großen Leidensdruck. Teilweise ist die Haut so stark verwundet, dass deutlich sichtbare Läsionen auf der Haut zu sehen sind. Und das meistens im Gesicht, also für die Umwelt sofort sichtbar. Daher ist Scham ein großer Punkt bei Skin Picking. Was den Leidensdruck zusätzlich erhöht ist das Gefühl, dass man nicht in der Lage ist, mit Skin Picking aufzuhören und sich wie fremdgesteuert fühlt. Diesen Zwang alleine zu bewältigen ist extrem schwer. Bei starker Ausprägung von Skin Picking ist daher auf jeden Fall eine psychologische Therapie empfehlenswert.

Sarah White

Die Kosmetikerin und Beauty Managerin (IHK) ist angehende Ärztin. Sie arbeitete mit plastischen Chirurgen in einer Praxis für medizinische Kosme­tologie zusammen, bevor sie ihre Tätigkeit als inter­nationale Trainerin für die Kosmetikbranche aufnahm. Sie ist Gründerin der Marke iluqua.