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Dermatologie & Ästhetik // 05.09.2024

Neurodermitis – Ursachen und Behandlung

Neurodermitis, auch bekannt als atopische Dermatitis, ist eine weit verbreitete, nicht ansteckende entzündliche Hautkrankheit, die oft mit erheblichem Leidensdruck einhergeht. Das Wissen darum hat sich durch intensive Forschungen erheblich verbessert. Viele neue Behandlungskonzepte und Therapieverfahren sind entstanden – ein Überblick.

Seit mindestens zwei Jahrhunderten ist die Erkrankung Neurodermitis bekannt, hat aber in den letzten Jahrzehnten erheblich an Häufigkeit zugenommen. Heute sind ca. 20 Prozent der Schulkinder betroffen, bei Erwachsenen sind es etwa drei Prozent. Es handelt sich also um eine Volkskrankheit. Sie geht mit quälendem Juckreiz einher und verursacht bei einem Befall freigetragener Körperflächen, vor allem im Gesicht, auch Entstellungen, die zur Stigmatisierung der Betroffenen führen.

Neurodermitis – eine globale Erkrankung

Während man früher Neurodermitis als allergische Erkrankung vorwiegend den „reichen“, „westlichen“ Ländern zuschrieb, wissen wir heute, dass es sich um ein globales Phänomen handelt. Auch in Zentralafrika stellt Neurodermitis eines der größten Probleme in der hautärztlichen Versorgung dar. Der Leidensdruck der Betroffenen ist erheblich, ihre Lebensqualität deutlich eingeschränkt. Leider wird dies von vielen Unwissenden und damit großen Teilen in der Gesellschaft nicht ernst genommen: Während Schmerzempfindung Mitleid hervorruft, erscheint Juckreiz vielen „nur“ als lästig und wird vom Umfeld oft mit dem lapidaren Satz „Hör endlich auf zu Kratzen“ quittiert.

Auch wenn die Krankheit seit Langem bekannt ist, gibt es neue Ausdrucksformen, die erst in letzter Zeit besser verstanden werden. Hierzu gehört z. B. das Auftreten von Neurodermitis im höheren Lebensalter – es ist eben keine ausschließliche „Kinderkrankheit“. So gibt es Patienten, die mit 67 erstmals Neurodermitis entwickelten.

Klinische Ausprägung der Neurodermitis

Die seit Langem bekannten unscharf begrenzten Rötungen, Schuppungen und Kratzspuren sowie Hautverdickungen in den großen Beugen werden ergänzt durch stark juckende aufgekratzte Knötchen und Knoten (sogenannte Prurigo-Form).
Von besonderem Interesse sind unterschiedliche Morphologien (Erscheinungsbild auf der Haut) bei verschiedenen Ethnien. So gibt es einen „afrikanischen“ Typ, mit mehr Streckseitenbetonung und follikulär (um die Haarwurzeln herum) angeordneten Knötchen; auch in den zugrunde liegenden genetischen Mustern der Erkrankung scheinen ethnische Unterschiede zu bestehen.

Was läuft bei Neurodermitis falsch in der Haut?

Es gibt bei Neurodermitis im Wesentlichen drei Krankheitsgründe, die sich unterschiedlich stark überlappen, um beim einzelnen Individuum das Ekzem hervorzurufen. Diese sind:

  • eine Barriere-Störung der obersten Hautschichten, sichtbar als „trockene Haut“,
  • eine Abweichung der Immunantwort in Richtung einer allergisierenden Th2-Reaktion mit Bildung von Immunglobulin-E-Antikörpern gegen Umweltstoffe und
  • eine psycho-neurogene Entzündungsreaktion, die den über die Nerven geleiteten Juckreiz beeinflusst, verstärkt und über Aktivierung verschiedener Zent­ren im Gehirn im limbischen System auch das Gefühlsleben miterfasst.

Neurodermitis-Therapie – was kann man tun?

Die Strategie der Behandlung richtet sich nach den krankmachenden Mechanismen. Dabei sind große Fortschritte in der Standardisierung und Evaluation von Therapiekonzepten zu verzeichnen, die sich in nati­onalen und internationalen Leitlinien niedergeschlagen haben. Im Zentrum jeder Behandlung steht die Korrektur der gestörten Barrierefunktion durch Zusatz von Lipiden (Emollientien) in Form von Cremen und Salben, die auch der Trockenheit der Haut entgegenwirken. Dabei kommt es darauf an, dass der Patient diese Zubereitungen auch akzeptiert und sie als angenehm im Auftragen empfindet. Denn die beste Salbe nützt nichts, wenn sie nicht angewandt wird.
Hier sind große Fortschritte erzielt worden. Es gibt eine Reihe von Firmen, die für unterschiedliche Hauttypen, Lebensalter und Lokalisationen der betroffenen Areale geeignete und aufeinander abgestimmte Pflegepräparate anbieten. Als besonders empfindliche Bereiche werden Augenlider, Gesicht und Genitalbereich gesehen, für die es spezieller Zubereitungen bedarf.

Das Haut-Mikrobiom – aus dem Gleichgewicht

Die Haut von Neurodermitikern ist in einem Ungleichgewicht des Mikrobioms, das heißt der oberflächlichen Hautmikroben. Während gesunde Haut eine ziemliche Diversität von unschädlichen Hautkeimen aufweist, finden sich bei der ekzematös veränderten Haut des Neurodermitikers plötzlich starke Zunahmen von Eitererregern wie z. B. Staphylococcus aureus. Dieser fehlerhaften Mikrobenbesiedelung versucht man durch eine Art Probiotika der Haut – wie wir sie vom Joghurt für den Darm kennen –, durch äußerliche Zubereitungen „guter Keime“ an der Haut zu begegnen.

Den Entzündungen angemessen begegnen

Der quälende Juckreiz und die beobachteten Symptome sind letzten Endes Folge einer Entzündung in den obersten Hautschichten, die als Ekzem abläuft. Deshalb muss antientzündlich behandelt werden. Lange stand hierfür nur Kortison und Kortison-Verwandtes zur Verfügung. Dies hat sich erfreulicherweise verändert.

  • Zum einen gibt es wesentlich weniger nebenwirkungsträchtige Kortison-Derivate, zum anderen stehen mit den Kalzineurin-Inhibitoren neue, auch juckreizstillende äußerliche Therapeutika zur Verfügung.
  • Harmlose, zum Teil pflanzliche Zubereitungen in Kombination mit Emollientien können bei milden Formen ebenfalls dem Ekzem entgegenwirken („E-mollentien plus“).
  • Die fehlgeleitete Immunreaktion in Richtung Th2 (eine Untergruppe der T-Helfer-Zellen) lässt sich mit neuen, biologisch hergestellten gezielten Substanzen, den sogenannten Biologika, in den Griff bekommen.

An der Ursache ansetzen  – so helfen neue Wirkstoffe

Im Zentrum der Th2-Reaktion stehen die Botenstoffe Interleukin 4 und Interleukin 13. Dagegen gerichtete spezifische Antikörper wie z. B. Dupilumab oder Tralokinumab können schwere Neurodermitis deutlich verbessern – hier ist ein Durchbruch erzielt worden. Biologika werden in der Regel ins Unterhautfettgewebe gespritzt. Das kann vom Patienten selbst vorgenommen werden in unterschiedlichen zeitlichen Abständen (2 bis 4 Wochen).

Neben den Biologika ist eine neue Gruppe von Medikamenten zugelassen worden: die Inhibitoren der Janus-Kinase (JAK). Das ist ein Schlüsselenzyms der Signalübertragung in der Zelle, das letztlich für die pro-entzündliche Mediatorbildung verantwortlich ist. Verschiedene JAK-Inhibitoren sind zugelassen, z. B. Bari-citinib, Upadacitinib, Abrocitinib. Mit Ruxolitinib ist auch ein äußerlich als Creme anwend­barer Stoff verfügbar. In Vergleichsstudien haben sich die JAK-Inhibitoren zum Teil als wirksamer erwiesen als die Anti-Interleukin 4/13-Biologika. In der Vorbereitung befinden sich noch eine ganze Fülle weiterer Stoffe, die an anderen Botenstoffen oder Rezeptoren im Entzündungsgeschehen angreifen.

Während wir als Neurodermitis-Forscher und -Betreuer die letzten Jahrzehnte im Wartestand verbrachten und mit ein bisschen Neid auf die fortschrittlichen Entwicklungen in der Behandlung der Psoriasis (Schuppenflechte) blickten, ist zwischenzeitlich die „schöne neue Welt“ für Neurodermitiker angebrochen.

Schulungen für Neurodermitis-Betroffene

Die Behandlung von Neurodermitis ist komplex und erfordert die aktive Mitarbeit von informierten Patienten. So haben sich Edukationsmaßnahmen im Einzelnen, vor allem aber auch Gruppenansätze bewährt. In Deutschland wurde mit Unterstützung des Bundesgesundheitsministeriums die Neurodermitis-Schulung von der Arbeitsgemeinschaft Neurodermitis-Schulung e. V. (AGNES) als standardisiertes und qualitätskontrolliertes Programm entwickelt, das auch von den Krankenkassen erstattet wird. Die Angebote für Betroffene mit Neurodermitis sind weit über Deutschland hinweg verbreitet (www.neurodermitisschulung.de). Dabei wird nicht nur theoretisches Wissen über die Krankheit und deren Behandlung vermittelt, sondern es gibt auch praktische Tipps, etwa zum Auftragen der äußerlichen Therapie. Es geht um die Besprechung von Kochrezepten für Nahrungsmittelallergiker, Übungen in autogenem Training und Relaxationstechniken zur Entspannung sowie Diskussionen über unkonventionelle Behandlungsverfahren.

Die seelische Komponente mit einbeziehen

In den letzten Jahren ist es immer deutlicher geworden, dass und wie nervliche Zustände die Intensität der Juckreizempfindung beeinflussen und steigern können. Unter den von vielen Neurodermitis-Betroffenen angegebenen Auslösefaktoren steht psychischer Stress ganz oben. Jeder weiß, dass die Juck-Kratz-Reaktion durch psychische Faktoren ganz erheblich beeinflusst werden kann – das gilt aber in beide Richtungen. Der Mensch ist nicht nur psychosomatisch, sondern auch somatopsychisch (seelische Belastungsstörungen als Reaktion auf schwere und/oder chronische körperliche Erkrankungen) organisiert! Dies muss in die Therapieüberlegungen mit einfließen.
Daher sollte für jeden Betroffenen ein Behandlungsplan entwickelt werden, der auf die individuellen Besonderheiten eingeht und von Vermeidung individueller Auslösefaktoren bis hin zu anti-entzündlicher Behandlung reicht: immer so stark wie nötig, aber so schonend wie möglich! Ich bevorzuge deshalb den Begriff “Krankheits-Management” gegenüber dem der klassischen Behandlung. Denn darunter wurde früher oft nur die Abgabe von Kortison-Rezepten oder Anti-Juckreiz-Pillen verstanden wurde.

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Prof. Dr. med. Dr. phil. Johannes Ring

Der Facharzt für Dermatologie und Allergologie ist am Haut- und Laserzentrum an der Oper in München tätig. Seine klinischen und wissenschaftlichen Schwerpunkte sind u. a. entzündliche und infektiöse Hauterkrankungen, Neurodermitis, neue Therapieverfahren sowie Juckreizforschung.